Mitgefühl statt Wissen_AP_157.pdf
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Schein oder Nichtschein    (Ausgabe Nr. 154)

 

Er schafft es kaum den Teller leer zu essen. Mein Vater. Dabei ist es ein sogenannter „Seniorenteller“ halber Portion. Ob er weiß wo wir sind? Schon beim Hineingehen in die kleine Gastwirtschaft in einem Landkreis wo er als Kommunalpolitiker tätig war, wird er von einigen Tischen her persönlich begrüßt. Er nickt zurück, mehr aus Gewohnheit, wie es scheint. Wir suchen einen gemütlichen Eckplatz, setzen uns und ich weiß -  er hat niemanden mehr erkannt. Wie muss es sich eigentlich anfühlen für ihn, von seinem ausgefüllten Leben und Wirken nur noch Fragmente zu erahnen?  Ich könnte ihm große Teile seines Lebens in den schillerndsten Farben beschreiben und er würde mich ungläubig ansehen. Mein Vater wirkt zufrieden und ich lasse meine Gedanken los. Die Ungläubige bin ich, als ich zweimal auf die Rechnung sehe. Der Seniorenteller macht sich alle Ehre und schlägt sich wohl weder auf den Magen noch auf der Rechnung nennenswert nieder. In München hätte ich mehr als das doppelte für unsere Speisen gelöhnt. Als ich zahle schiebt mein Vater mir einen 10, -- Euro Schein über den Tisch. Ich will ihn zurückschieben, er nimmt ihn nicht an, beide lachen wir und vereinbaren, dass wir es das nächste Mal anders herum machen.  Diesen 10, -- Euro Schein stecke ich unwillkürlich mit einem ganz anderen Gefühl spontan in ein anderes Fach meiner Geldbörse als sei es „gar kein Geld.“  Dieser Schein trägt für mich einen kostbaren Moment mit meinem Vater in sich. Wie könnte ich diesen „ausgeben?“ Oder zu all den anderen belanglosen Scheinen und Münzen legen.

Eine Woche später protestiere ich, als Vera mir meine Ausgaben für Utensilien anlässlich eines gemeinsamen Referates mit 5, --Euro rückerstatten will. Schließlich hätte sie doch auch Ausgaben gehabt, sage ich. Sie nimmt den Schein jedoch nicht zurück und meint ich solle ihn dann als „symbolisch“ ansehen. Wir lachen und auch diesen Schein lege ich mit leichter Hand in das andere neu entdeckte Fach.

Ein paar Tage darauf: um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen muss ich nun das Auto nehmen. Wie ärgerlich. Der ganze Münchner Verkehrsbetrieb streikt mal wieder. Mittlerweile gibt es ironische Artikel: „Pendler Pursuit" - besteht im Wesentlichen darin, möglichst viel Geld für Monats- und Jahreskarten auszugeben, sich mit Fahrplänen und allen verfügbaren elektronischen Abfahrtszeiten-Gadgets auszustatten und trotzdem eine größtmögliche Verspätung anzuhäufen.“ Ich fahre los nach Schwabing Mitte und oh Wunder, ich ergattere einen freien Parkplatz direkt vor dem Haus meines Arbeitgebers. Ich beschließe ohne Zögern keinen Parkschein zu lösen und lieber einen Strafzettel zu riskieren. Preislich liegt dies eh beieinander. Auf dem Gehsteig bemerke ich einen sichtlich gestressten Geschäftsmann der jeden vorbeikommenden bittet seinen 10, -- Euro Schein in Kleingeld zu wechseln um ein Parkticket lösen zu können. Alle schütteln den Kopf, hilfesuchend spricht er auch mich an und ich fange an nach Kleingeld zu kramen. Ich komme auf nur 7, -- Euro und sage, auch ich könne leider nicht wechseln. Seine Eile und Verzweiflung wandelt sich in „akute mathematische Ignoranz“ so diagnostiziere ich, denn er gibt mir den 10, -- Euro Schein für meine 7, -- Euro, lächelt erleichtert und wünscht mir einen sehr schönen Tag!  Auch dieser Schein fühlt sich im anderen Fach besser aufgehoben. Abends gehe ich zum Auto. Kein Strafzettel! Im Gegenteil habe ich ja noch 3, --Euro verdient. Meine Kollegen kringeln sich vor Lachen tags drauf. Ich solle dieses Geschäft weiter betreiben meinen sie.     

Wir sitzen sonntags bei Kaffee und Kuchen. Zum Abschied steckt mir meine Tante mit Nachdruck 50, --Euro zu und meint, es wäre für den mitgebrachten Kuchen und vom Rest solle ich mir was Schönes kaufen. Mhm, wohin lege ich diesen Schein? Auch er kommt in die würdevollere Kategorie der Geldbörse.

 

Erst jetzt stelle ich erstaunt fest, dass ich Geld seit 2 Wochen, nicht zuletzt in meiner Geldbörse, deren eine Seite sich verdächtig anfängt auszubeulen, anders einordne. Mein Geist schlägt übermütig ein paar Purzelbäume vor Entdeckungsfreude in der sich ein kleines Alltagsspiel entwickelt hat: manches Geld wird transparenter und offenbart einen menschlichen Schatz. Und hinter jedem der genannten Scheine würdige ich ungeachtet des Geldwertes den ideellen Wert:

Und so steht der erste für Liebe.

Der zweite für Freundschaft.

Der dritte für Spiel- und Risikofreude.

Und der vierte für Wertschätzung.

 

Just fühle ich mich, also bin ich es auch: reich und beschenkt.

 

 

 

 

 

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© Rita Steiner